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What Mathias says – ein Interview mit einem Robotik-Software-Entwickler

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Mathias

Was hat dich ursprünglich an der Entwicklung von Software für die Robotik gereizt? Und was hat dich dazu bewogen, für diese Karriere von Brasilien nach Deutschland zu ziehen? Ich bin in Brasilien auf dem Land aufgewachsen und habe meinem Vater auf der Farm geholfen. Obwohl ich mit meinem Leben auf der Farm zufrieden war, entschied ich mich, Informatik zu studieren, weil ich "verstehen wollte, wie die Dinge funktionieren". Ich habe mich auch für Physik beworben (und wurde angenommen), weil man dort viel über die Welt, Atome, Materialien usw. lernt, aber Informatik war für mich die bessere Wahl. Während meines Bachelorstudiums in Informatik konnte ich mit einigen Freunden ein Forschungsprojekt zur Entwicklung von Algorithmen für autonome Autos starten. Damals arbeiteten wir mit Lego-Bausätzen, bauten verschiedene Roboter und programmierten sie so, dass sie sich autonom in ihrer Umgebung bewegen konnten. Seitdem habe ich das Feld der Robotik nie verlassen, sondern mich nur mit teurerer Hardware und fortschrittlicheren und anspruchsvolleren Algorithmen beschäftigt. Die meisten meiner brasilianischen Freunde gingen nach Nordamerika, während ich einer der wenigen war, die nach Europa gingen. Ich glaube, dass meine Denkweise und die Dinge, die ich am Leben schätze, auf dem alten Kontinent besser aufgehoben sind. Außerdem ist Deutschland eines der besten Länder für Robotik, sowohl in der Industrie als auch im akademischen Bereich. 

Kannst du ein Projekt beschreiben, in dem du autonome Roboterfunktionen implementiert hast? Welche Herausforderungen hast du dabei gemeistert? Der Ausbruch von COVID-19 in Brasilien war sehr schwerwiegend und forderte Hunderttausende Menschenleben. Es gab viele Initiativen zur Bekämpfung des Virus, und eine davon war die Zusammenarbeit zwischen Instor, einem brasilianischen Robotik-Start-up, und der Phi Group, dem Forschungslabor, in dem ich gearbeitet habe. Gemeinsam haben wir Jaci entwickelt, den ersten autonomen Roboter, der vollständig in Brasilien entwickelt, gebaut und programmiert wurde. Er ist nicht nur mit allen grundlegenden Sensoren ausgestattet, um seine Umgebung zu erfassen und Hindernissen auszuweichen, sondern auch mit UV-Licht. Obwohl UV-Licht für den Menschen gefährlich ist (es verursacht Hautkrebs), kann es bei richtiger Anwendung das COVID-19-Virus inokulieren. Um die Effizienz des Lichts zu maximieren, mussten wir sicherstellen, dass Jaci in der Lage ist, durch seine Umgebung zu navigieren und dabei einen bestimmten Abstand zu allen Hindernissen einhält. Außerdem musste das Licht alle Oberflächen erreichen, die von Menschen berührt werden könnten. Das war schwierig, denn normalerweise sollten autonome Roboter Hindernissen möglichst weit ausweichen, aber hier mussten wir sicherstellen, dass der Roboter ständig in der Nähe bleibt. Neben der Forschung im Zusammenhang mit dem Vorschlag neuer Algorithmen für die Routenplanung war ich stolz darauf, Teil dieses Projekts gewesen zu sein, das vielen Menschen geholfen und brasilianischen Bürgern das Leben gerettet hat. 

Welche aktuelle technologische Entwicklung oder welcher Trend in der Softwareentwicklung fasziniert dich? Der neueste Trend in der Welt der KI/Computer Vision/Perception ist 3D Gaussian Splatting. Es handelt sich im Wesentlichen um eine originelle Methode, viele weiche, unscharfe Punkte zu verwenden, um 3D-Szenen auf einem 2D-Bildschirm flüssig und natürlich darzustellen. Es hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir mit 3D-Punktwolken umgehen, um die Darstellung der Umgebung zu rekonstruieren, und die Art und Weise, wie wir Daten von mehreren Kameras, die auf dieselbe Region gerichtet sind, kombinieren, wesentlich zu beeinflussen.

Was hast du in deinem Berufsleben gelernt, das du gerne schon am Anfang deiner Laufbahn gewusst hättest? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in der Robotik das Learning by Doing viel effektiver ist als das passive Konsumieren von technischen Ressourcen. Wenn ich die Zeit zurückdrehen könnte, würde ich mich für das Lernen durch praktische Projekte entscheiden und nicht nur für das Lesen von Büchern und das Hören von Vorträgen. Beispielsweise würde ich einen mobilen Roboter bauen, der Objekte in seiner Umgebung erkennen und mit ihnen interagieren kann, um Computer Vision zu beherrschen. Dieser Ansatz würde mir dabei helfen, die Fähigkeiten zu identifizieren, die ich benötige, und sie sofort anzuwenden. Außerdem könnten diese Projekte als wertvolles Portfolio und Ressource für zukünftige Aufgaben dienen. 

Du hast sowohl mit Bodenrobotern als auch mit Flugrobotern gearbeitet. Inwiefern unterscheiden sich diese beiden Bereiche in Bezug auf die Anforderungen an die Softwareentwicklung und was ist für dich die größere Herausforderung? Vereinfacht ausgedrückt müssen Bodenroboter in der Regel ständig sowohl statischen als auch dynamischen Hindernissen ausweichen, während sie sich durch ihre Umgebung bewegen, und ihre Batterie muss für mehrere Stunden ausreichen. Im Gegensatz dazu müssen Flugroboter nicht unbedingt Hindernissen ausweichen, aber ihre Batterie hat eine Lebensdauer von nur wenigen Minuten. Mit anderen Worten: Bodenroboter sind gefährlich, wenn sie sich bewegen, während Drohnen gefährlich sind, wenn sie abstürzen - wenn ihre Batterie leer ist. Ein weiterer großer Unterschied ist, dass Flugroboter stark vom Wind beeinflusst werden. Die Algorithmen haben also mit viel mehr Unsicherheiten zu kämpfen als bei Bodenrobotern.  

Wenn du eine beliebige Technologie ohne Einschränkungen erfinden könntest, was wäre deine Erfindung? Normalerweise benutze ich Zeichnungen oder Bilder, um anderen meine Ideen oder komplexe Konzepte zu erklären, weil ich glaube, dass sie mit visuellen Beispielen leichter zu verstehen sind. Aber oft finde ich kein Bild, das das darstellt, was ich suche. Deshalb wäre es toll, wenn ich die 3D-Formen oder Zeichnungen, die ich mir in meinem Kopf vorstelle, auf eine Software „übertragen” könnte. Ich muss gestehen, dass ich den aktuellen Stand der Technik im Bereich des Gedankenlesens nicht kenne. Vielleicht wäre das mal etwas für “Mathias der Zukunft”.  

Hast du einen Lieblingswitz über das Programmieren oder eine lustige Anekdote aus deiner Robotik-Karriere, die du mit uns teilen möchtest? „Wenn es kein KI-Problem ist, können wir es lösen!” Falls Sie den Witz nicht verstanden haben, hier ist der Kontext. Bei KI-Systemen ist es nicht möglich, sie zu debuggen und jeden Schritt des Prozesses zu analysieren, wie es bei Code der Fall ist, um bestimmte Probleme zu beheben. In der Regel müssen neue Modelle erstellt werden, um die Leistung von KI-Systemen zu verbessern. Im Gegensatz zu Programmiersprachen, bei denen man einfach Codezeilen hinzufügen oder entfernen kann, ist das bei KI-Systemen nicht möglich. 

Was ist deiner Meinung nach die am meisten unterschätzte Fähigkeit bei der Entwicklung von Robotersoftware? Kommunikation. Ich habe einmal gelesen, dass Robotik der Bereich ist, in dem Bytes Atome bewegen. Das ist eine ziemlich einfache Definition, aber sie impliziert auch, dass es mehrere „Teams” braucht, damit es funktioniert. Für mich persönlich sind die drei wichtigsten: Software, Hardware und Elektrik. Wie wichtig die Kommunikation ist, wird deutlich, wenn man bedenkt, dass ein Maschinenbauingenieur nicht weiß, wie der Code funktioniert, und der Programmierer nicht versteht, wie er den Strom von der Batterie zu den Sensoren umwandelt. Bei Sereact beispielsweise kann der Roboter keine gute Leistung erbringen, wenn der Greifer nicht schnell aus- und eingefahren werden kann. Damit sich der Greifer schneller bewegen kann, müssen wir (das Software-Team) wissen, ob sich die Metallteile schnell bewegen können (das Hardware-Team) und ob sich die Luftpumpen mit der von uns benötigten Frequenz ein- und ausschalten lassen (das Elektro-Team). Es geht also nicht nur darum, mit anderen Leuten zu reden, sondern auch zu verstehen, dass sie nicht den gleichen Hintergrund haben wie man selbst und deshalb die Welt anders sehen. 

Welchen Rat würdest du Robotikingenieuren geben, die eine internationale Karriere anstreben? Ich habe in meinem Privat- und Berufsleben schon viele Chancen verpasst, weil ich dachte, ich sei nicht gut genug für die Aufgabe oder die Rolle oder alle anderen seien besser als ich. Zum Glück hat mich das Leben eines Besseren belehrt. Niemand weiß absolut alles, und man kann sich die Fähigkeiten aneignen, die man für eine neue Herausforderung braucht. Ich glaube, man muss einfach von Anfang an sein Bestes geben und sich voll und ganz einbringen, dann kommen die Fähigkeiten, die einem noch fehlen, von ganz alleine.

Was machst du in Deutschland neben der Arbeit gerne, was du in Brasilien vielleicht nicht erlebt hast? Ich finde es spannend, Orte zu besuchen, die Teil der Weltgeschichte sind, wie Schlösser und Museen. Brasilien ist im Vergleich zum „alten Kontinent” noch recht jung und hat daher noch nicht so viele weltgeschichtlich relevante Momente erlebt wie Deutschland (leider). Die Möglichkeit, Porsche- und Mercedes-Benz-Museen zu besuchen, um mehr über die Geschichte von Fahrzeugen und Motoren zu erfahren, ist in Brasilien leider nicht gegeben. Dasselbe gilt für Schlösser. So kann ich die deutsche Kultur besser verstehen und sehen, wie weit wir als Gesellschaft gekommen sind.  

Wenn du irgendwo auf der Welt hinreisen könntest, wohin würdest du gehen und warum? Ich würde gerne viel mehr Orte auf der Welt sehen, aber ein besonderes Reiseziel ist für mich Norditalien, wo meine Vorfahren herkommen. Ich würde gerne mehr über die Geschichte und Kultur meiner Familie erfahren und vielleicht sogar einen entfernten Verwandten treffen. Wer weiß, vielleicht ergibt sich eines Tages die Gelegenheit dazu. 

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